26. Februar 2025 Unser Schiffs-Zuhause

Vorab ein kurzer Gruß aus Havanna:
Wir sind nach einer regenreichen zweiten Nacht am Strand mittlerweile gut in Havanna angekommen, haben unsere AirBnbs bezogen und auch schon eine erste Runde durch die Altstadt gedreht. Das Programm für die nächsten Tage ist vielversprechend und wir sind schon sehr gespannt tiefer in die Stadt und ihre Kultur einzutauchen.

Havannas Stände am Straßenrand werden gestürmt. Es gibt Churros und Kokosnüsse © Judith




Nachtrag vom 11.2.2025 15:17 Uhr

noch an Bord der Gulden Leeuw auf dem Weg nach Kuba
Koordinaten: 13°20.081‘N 79°28.645‘W
Zurückgelegte Seemeilen: 7897 nm
Wetter: Sonne Wind: 5 N=
Momentane Geschwindigkeit: 4,7 kn · Kurs: 10°
Stimmung: Absurd zwischen Vomex und Heeling

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Unser Schiffs-Zuhause

„Guck, Conrad, hier ist mir eben meine Suppe aus der Schüssel geflogen.“
„Ah echt? Geil.“

Die sogenannten Pädis sitzen in der students mess, beobachten die ihnen anvertraute Horde und überlegen angesichts wiederkehrender absurder Situationen an Bord, wie so ein typischer Tag auf See denn adaptiert zuhause aussehen würde.

Irgendwer zupft am Kopfkissen. „Sag mal Fischer‘s Fritz fischt frische Fische.“Verschlafene Augen öffnen sich widerspenstig. „Boah, waaas? Frischersfischfrischdwasweißich.“
„Es ist 3:40 Uhr, du musst in 10 Minuten am Esstisch stehen. Kurze Hose reicht, vielleicht Langarmshirt.“

Wachbeginn 4:00 Uhr, Treffen zur Übergabe. Officer of the watch ist Papa, der im Büro sitzt und Kaffee trinkt. Wir müssen den Kühlschrank halbstündlich kontrollieren, in der Waschküche hat sich um Mitternacht noch Wasser am Boden gesammelt, deshalb dort auch besonderes Augenmerk. Die Waschmaschine darf aktuell nicht verwendet werden, zu starker Westwind. Wetter soweit beständig, drei von acht Rollläden sind geschlossen.

Wir starten also mit einer Sicherheitsrunde durch‘s Haus. Im Erdgeschoss sehen wir nach, ob Tassen aus dem Schrank gefallen sind – das nicht der Fall. Dafür liegen einige Stifte und Snackreste auf dem Boden, die wir grob aufsammeln. Der Rest wird später von den Verantwortlichen dieser Woche beseitigt. Wir überprüfen alle Schubladen der Kommode auf Geschlossenheit und sehen im Bad nach, ob irgendwer den Wasserhahn offengelassen hat. Die Waschküche ist trocken. Dann geht‘s runter in‘s Untergeschoss – mindestens zu zweit, aus Sicherheitsgründen. Die Küche brennt nicht und steht auch nicht unter Wasser – sehr gut. In den Schlafzimmern brennt nur das rote Licht und vereinzelt liegen Socken zwischen den Betten. Davon wird direkt eine in die Schranktür geklemmt, damit sie weniger klappert. Die Treppe runter ist ganz schön nass und salzig, hier ist Vorsicht angesagt. In der Vorratskammer angekommen, entdecken wir eine umgekippte Kiste mit Milchkartons. Das wird gleich gemeldet. Die Temperaturen von Kühlschrank und Gefriertruhe merken wir uns. Dann geht‘s zurück nach oben in‘s Büro. Wir helfen uns gegenseitig, die Türen auf dem Weg zu öffnen und zu schließen.

Im Büro wird Bericht erstattet und die Temperaturen eingetragen. In der Zwischenzeit hat der Wind leicht gedreht, ein Rollladen wird etwas gehoben. Ansonsten unterhalten wir uns eine Weile über Papas und unsere Führungsqualitäten und Verantwortung im Allgemeinen. Die Wache ist ruhig.

Fridge and Freezer Temperatur notieren

Fridge and Freezer Temperatur notieren © Sina

OOW always ask the officer of the watch

OOW always ask the officer of the watch © Sina

Wir wecken erst die Frühstückscrew, dann alle, die vormittags zur Schule müssen. Kurz darauf schlurfen müde Gestalten in‘s Wohnzimmer. Aus einigen Müslischüsseln fließt Milch auf den Boden, ein Toast brennt, wer seinen Teller nicht festhält, verliert sämtlichen Proviant, in Windeseile ist der 5-Kilo-Nutella-Pott leer – alles ganz normal. Das Frühstücksschlachtfeld darf die Frühstückscrew aufräumen. Wo vorher Käsebrote lagen, werden jetzt Hefte ausgebreitet. Wer hier an Covid Homeschooling denkt, hat weit gefehlt: Die studiertesten Mitbewohner:innen erklären jetzt die Feinheiten von Kommunikation, wirkenden Kräften, Vergangenheit und Gegenwart. Mama kommt mit Kaffeetasse vorbei.

„Mama“, fragt jemand, „können wir ein Fenster aufmachen?“
Mama gibt zurück: „Who do you ask?“ und die müde Antwort lautet unisono: „Officer of the watch.“
Papa sagt, Balkontür und ein Fenster dürfen auf. 8:00 Uhr Wachwechsel.„Idle hands!“, ruft es da vom Balkon herein, während Schreibmaterial aus dem Regal purzelt.

Der Rollladen der großen Glasfront im Wohnzimmer soll geöffnet werden. Die halbe Gruppe erhebt sich, einige verstecken sich taktisch unter dem Sofa. Zwei Reihen bilden sich an den Rollladengurten und stehen bereit. „Doch nicht“, heißt es dann. Ein Regenschauer muss erst vorbei ziehen. Zurück an die Schulbank also. In der Zwischenzeit sind alle Hefte, Federmäppchen und einzelnen Stifte von den Tischen gerutscht und jene, die sich taktisch unter dem Sofa versteckt hatten, helfen jetzt bei der Neuverteilung des Unterrichtsmaterials. Landkarten und Lebensläufe, Lieder und Lebewesen werden studiert, bis erneut um idle hands gebeten wird. Gleiches wie zuvor, einige springen willig auf, andere brauchen mehrere Aufforderungen, die Verantwortlichen müssen sich zwei bis dreimal rechtfertigen, dass sie das ja nicht zum Spaß machen und den Regenschauer nicht bestellt haben.

Der Rollladen verfängt sich auf dem Weg nach oben mehrmals in den Ästen der Bäume vorm Fenster, sodass er noch einige Male zurück nach unten gelassen werden muss, doch mit vereinten Kräften wird das Unmögliche möglich gemacht.

Welche Rollläden sollen wir runter nehmen?

Welche Rollläden sollen wir runter nehmen? © Sina

Papa hat inzwischen die Wachaufsicht an Mama übergeben und die Frühstückscrew bereitet das Mittagessen vor. In der Küche ist der Gewürzschrank spontan explodiert und beim Spülen muss man sich zwischen Arbeitsfläche und Spültisch verkeilen, um nicht umher zu rutschen.

Als die Schulstunde vorüber ist, wandeln die Belehrten seltsam umher, irgendwie schräg und in unsauberem Takt. Generell torkeln alle durch’s Haus, als habe Monty Python persönlich das Ministry of silly walks* auf die ganze Gruppe angesetzt. Geheime Kräfte sind auch am Werk, als die Mittagssuppe aufgetischt wird und sich strikt weigert, ruhig in den Schüsseln zu verweilen. Schon mal vom fliegenden Spaghettimonster gehört? Hier gibt’s fliehende Spaghettisuppe. Die frisch überbackenen Käsebrote aus der Mikrowelle springen freiwillig heraus, sobald die Tür geöffnet wird.

Jemand muss trotz dieser unheimlichen Umstände auf’s Dach steigen, um die oberen Rollladenkästen zu warten. Das geht natürlich nicht ohne Klettergeschirr und Sicherungsgerät, was im Büro verwahrt wird und vom Officer of the watch ausgegeben wird. Im Büro sitzt zufällig Papa und trinkt Kaffee.

„Hey Papa, ich brauch‘ ein Sicherungsgerät.“
„Who do you ask?“, murmelt er zurück.

... Irgendwie ist es doch wie zuhause hier.

*Monthy Python ist für seinen britischen Humor und Filme wie „Das Leben des Brian“ bekannt. Das Ministry of silly walks kann man sich bei Youtube ansehen.

Anmerkung: „Wir“ meint hier die Sichtweise der Gruppe. Pädis wecken keine Jugendlichen und aktuell laufen wir auch (leider) keine Wache mit.

Sina