2. Dezember 2022 Zwischen Hippies und Luxustourismus
Unsere bisher zurückgelegten Seemeilen:
Leider können wir die Zahl nicht mehr einfach ablesen, sondern müssen sie aus den einzelnen Etmals (Wegstrecke in 24 Stunden) zusammenrechnen. Und wenn diese unsere Rechnung stimmt, haben wir in der Nacht zum 2. Dezember 2022 die Marke von 5.000 Seemeilen geknackt!
»Zwischen Hippies und Luxustourismus«
Rückblick auf den 11. und 12. November, Teneriffa
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Hallo an alle zuhause,
etwas verspätet möchte ich euch heute von meinem persönlichen Highlight des Teneriffa-Landaufenthaltes erzählen: Dem Ausflug zu einem Bekannten von Pädagoge Max, der in einer Community im Norden Teneriffas komplett ohne Geld lebt. Wir hatten die Chance, Einblick in eine vollkommen andere Art zu leben und in eine ganz andere Sicht auf unsere Gesellschaft, Lebenseinstellungen und Privilegien zu bekommen.
Doch fangen wir erstmal von vorne an. Am Freitag, den 11.11. sind wir, eine Gruppe aus zehn Schüler:innen + Max (es konnten nicht so viele mitkommen), morgens nach dem Frühstück mit Wanderrucksäcken und Klamotten für zwei Tage von Bord gegangen. Mit dem Bus sind wir ca. eine Stunde entlang der Küste in Richtung Süden gefahren. Zehn Minuten vor dem Ende unserer Fahrt, als wir dem Ort näher gekommen sind, wurde die Sicht aufs Meer immer öfter von großen Hotelkomplexen und Ferienanlagen unterbrochen, die uns gar nicht groß aufgefallen sind, aber später eher mehr Gedanken in uns auslösen sollten.
Endlich angekommen, wurden wir schon an der Haltestelle von zwei Männern erwartet. Beide sahen eher eigenartig für uns aus, da sie bunt und einfach gekleidet waren und mit ihrer gebräunten Haut, Dreadlocks und Hut aus der Menge mittel- bzw. osteuropäischer Tourist:innen herausstachen. Der eine stellte sich uns als „Paul, der Hippie“ vor (Name aus Datenschutzgründen geändert). Er hatte einen schwarzen Zylinder mit eingesticktem Blumenmuster auf dem Kopf, eine runde Brille und einen Ziegenbart. Er sah für sein Alter (38) ziemlich alt aus. Was zu Pauls Auftreten auch noch dazugehört, ist definitiv ein Joint, da er fast durchgehend gekifft hat. Der andere hieß Philipp (Name auch geändert). Er hatte lange, blonde Dreadlocks und sah aber um einiges jünger aus als Paul.
Zusammen mit ihnen sind wir dann zu ihrem Zuhause gegangen. Eine Art Camp, das ziemlich versteckt in einer Senke zwischen einem Hotel und einer Ferienhausanlage liegt. Getarnt von der auf Teneriffa üblichen Natur ist es kaum zu erkennen und ist uns auch auf den ersten Blick nicht aufgefallen.
Auf das Gelände kamen wir durch ein kleines Törchen, das uns auf eine Art Vorplatz geführt hat. Auf der rechten Seite war ein Unterstand, der eingerichtet war mit einem großen Tisch, einigen Sesseln und einer Couch. Dort saßen 5 bis 10 Menschen und haben Karten gespielt, geredet, etc. Die Stimmung war sehr ruhig und auf mich wirkte es ein bisschen, als würden wir diese Ruhe stören. Immerhin war das das Zuhause dieser Menschen, das wir, die als Schulklasse vorgestellt wurden, gerade betreten hatten. Das ist mir auch in dem Moment erst wirklich bewusst geworden. Paul sagte uns auch sofort, wir sollten keine Fotos machen, da das vorher schon einmal nur Probleme gemacht habe. Selbstverständlich haben wir uns daran gehalten und uns möglichst höflich verhalten.
Was uns sehr erstaunt hat, war, dass wir zusätzlich zu den ganzen ohnehin schon interessanten Menschen aus aller Welt auch ein Kind getroffen haben, das mit Anschluss zu einem Solarpanel Videospiele gespielt hat. Später erzählte Paul uns dann, dass es zu einer Familie gehörte, die aus der Ukraine geflohen war und jetzt für einen kurzen Zeitraum einen Wohnort gebraucht habe. Im Allgemeinen betonte Paul sehr oft, dass im Camp jede:r willkommen sei, solange man sich „um seinen eigenen Scheiß kümmert“.
Ein kleiner Weg hat uns zu Pauls Hütte geführt, die gerade so groß war, dass die Hälfte von uns reingepasst hat. Neben dem Bett, das fast die Hälfte des Platzes einnahm, hatte Paul in der Hütte Platz für ein bisschen Obst und Gemüse, Hygieneartikel und das für Hippies typische Marihuana. Wir saßen etwas länger in seiner gemütlichen Hütte, während Paul uns über sein Leben, bzw. seine Art zu leben erzählte.
Paul kommt gebürtig aus Nordrhein-Westfalen und hat dort auch sein halbes Leben gelebt. In der Schule kam er nicht so gut klar, was jedoch für ihn kein Grund gewesen wäre, seinem Leben den Rücken zuzukehren und ein neues an einem vollkommen anderen Ort auf der Welt anzufangen. Er hat für ein paar Jahre in einer Psychiatrie gearbeitet. Irgendwann, erzählte uns Paul, sei ihm aber aufgefallen, dass er ja für sein Geld arbeitete, wovon ihm aber durch die ganzen alltäglichen Ausgaben am Ende des Monats gar nichts mehr übrig blieb. Was dann noch hinzukam, war, dass Paul körperlich behindert ist (mittlerweile zu 80%). Das macht ihm beispielsweise das Gehen schwer. Wenn er sich für Jobs bewerben will, wird er meistens nicht beachtet und auch bei zuständigen Behörden fühlt Paul sich missverstanden. Wozu also für eine Gesellschaft arbeiten, die einen nicht wertschätzt, um am Ende nicht einmal etwas davon zu haben?
Also hat Paul Deutschland den Rücken zugekehrt, um auf den Kanarischen Inseln ein neues Leben anzufangen. Ein Leben ohne materielle Güter, ohne Geld, vollkommen unabhängig. Zuerst habe er auf La Gomera gelebt, erzählte er uns. Irgendwann (vor ca. 5 Jahren) habe ihm aber jemand von der Community auf Teneriffa erzählt, die zu der Zeit noch in Höhlen am Strand gelebt hat. Daher ist Paul mit seinem gesamten Hab und Gut (kleiner Witz am Rande) nach Teneriffa gezogen und hat dort für zwei Jahre in einer der Höhlen Teneriffas zusammen mit insgesamt ca. 100 bis 200 anderen Menschen aus aller Welt gelebt. Das ging alles gut, bis die Polizei vor drei Jahren aufgrund der teilweise hohen Internetpräsenz auf die Hippies in den Höhlen aufmerksam wurde und diese räumen ließ. Deshalb saßen wir nun in der Hütte, in dem Camp, umgeben von Hotels.
Auch, wenn das hier alles sehr krass klingt und Paul eine harte Vergangenheit hinter sich hat, hat er auf uns trotzdem einen glücklichen Eindruck gemacht. Ich glaube, dass er mit seinem Leben zufrieden ist und stets das Beste aus allem macht.
Das Gespräch hatte in uns so einige Fragen geklärt, aber gleichzeitig umso mehr neue Gedanken geweckt:
- Wieso musste sich ein Mensch heutzutage in unserem freien Deutschland so vergessen und unbeachtet fühlen?
- Warum ist mir so etwas noch nie aufgefallen?
- Bin ich nicht ein Teil dieses ausschließenden, wenn nicht sogar ignoranten Systems?
- Ist Paul, bzw. sind die Menschen dort jetzt glücklich?
- Obwohl Paul das System in Deutschland schlecht findet, will er nicht das bestehende System ändern, sondern hat sich ein neues, für ihn besseres System aufgebaut.
- Das Leben in der Community bringt viele praktische Schwierigkeiten mit sich (ärztliche Versorgung!) – welcher Punkt daran wiegt das wieder auf? (denn das tut es aus Pauls Sicht ja ...)
Der anschließende Programmpunkt hat uns zu den eben genannten Höhlen geführt. Bepackt mit Feuerholz für das geplante Lagerfeuer, Essen für Abendessen und Frühstück und unserem ganzen anderen Gepäck sind wir ca. eine Stunde entlang der Küste zu unserem Ziel gelaufen. Die Höhlen erstrecken sich über drei nebeneinander liegende Buchten, die alle zu Fuß nur mittelgut zu erreichen sind. Dementsprechend lang haben wir mit dem zu Fuß nicht allzu fitten Paul gebraucht. Unser Ziel war die zweite der drei Buchten. Wir hatten die Wahl, ob wir in den Höhlen, die ca. 30 Meter hoch an den Klippen gelegen waren, oder weiter unten am Strand auf einer kleinen felsigen Erhöhung unser Lager aufschlagen wollten. Da wir bei den heißen Temperaturen dem Meer nicht abgeneigt waren, haben wir uns für die zweite Option entschieden.
Nachdem wir uns die Höhlen angeschaut hatten und im Wasser baden gewesen waren, haben Max und Paul, die sich durch ihre Leidenschaft zum Firejuggling, einer Art Feuerakrobatik, kennengelernt hatten, angefangen uns eine Einführung ins Firejuggling zu geben. Wir haben relativ schnell die ersten Grundtricks mit den Geräten „Dragon“ und „Poi“ gelernt (vorerst noch ohne Feuer).
Nach Sonnenuntergang haben wir angefangen, bei unserem Lager das Lagerfeuer vorzubereiten, ohne das wir auch kein Essen hätten kochen können. Dafür mussten wir unsere Paletten zerkleinern und mithilfe von Max' Spezialfirejugglingspiritus anzünden. Über dem Feuer haben wir dann Nudeln mit Tomatensoße mit frischem Gemüse (!) gekocht. Mit der Zeit kamen, vom Feuer angelockt, noch mehr Menschen zu unserer Runde dazu, die aus verschiedensten Ländern auf der Welt hierher gefunden hatten. Wir saßen ganz lang am Feuer und haben uns unterhalten. Wir erfuhren von einem dazugekommenen Italiener, dass er professioneller Slacklineartist sei und auf Youtube festhält, wie er über super tiefe Schluchten balanciert. Der Youtubename ist uns als „I line“ in Erinnerung geblieben, wir haben das jedoch nicht überprüft. Ein Mann, der gebürtig aus der Mongolei kommt, hat uns auf einer traditionellen mongolischen Flöte vorgespielt. Die Stimmung war super entspannt und in der Luft lag der durchgängige Geruch der Joints, die von den Hippies im Allgemeinen nicht gerade wenig geraucht wurden.
Als wir alle satt waren und das Lagerfeuer langsam ausging, haben wir unsere Runde an den Strand verlagert. Denn jetzt wollten wir unsere vorher gelernten Firejugglingtricks mit echtem Feuer ausprobieren. Zuerst haben uns Max und Paul aber eine Show aufgeführt, die uns echt beeindruckt hat. Zu dramatischer Musik haben die beiden super viele spektakuläre Tricks mit dem Feuer gemacht. Im Dunkeln sah alles noch mal doppelt so cool aus. Danach waren wir dran. Felix und Maja waren richtig gut mit dem Dragon und haben sich sogar eine Choreo zu zweit ausgedacht, die sie uns dann vorgeführt haben. Im Allgemeinen haben wir uns aber alle sehr gut geschlagen und Max meinte auch, er hätte nicht gedacht, dass wir das so gut hinbekommen (kleines Eigenlob an der Stelle).
Den Abend haben wir nochmal mit einem Lagerfeuer ausklingen lassen, an dem wir uns alle mit Paul über unsere Gesellschaft, Chancengleichheit, Politik und vieles mehr unterhalten haben. Um das Lagerfeuer herum haben wir unsere Schlafsäcke ausgebreitet und sind nach und nach erschöpft und mit vielen neuen Eindrücken schlafen gegangen. Ausgemacht wurde das Lagerfeuer um zwei Uhr, als die letzten (Paul, Max, Nika und Freddy) sich hingelegt haben.
Am nächsten Morgen haben wir um 7 Uhr alle unsere Sachen zusammengepackt, damit der Polizist, der jeden Morgen seine Runde am Strand entlang dreht, unsere nicht zu 100 % legale Schlafaktivität nicht sieht. Nachdem wir dann gemeinsam gefrühstückt hatten, war ein Teil der Gruppe wieder baden, andere haben sich mit Paul über die Geschichte der Kanarischen Inseln unterhalten und wieder andere haben Firejugglingtricks geübt.
Um 11 Uhr hieß es für uns dann Abmarsch. Wir bedankten uns bei Paul für die tolle Zeit und schenkten ihm eins unserer HSHS-Longsleeves. Paul bedankte sich auch bei uns und meinte, wir wären gar nicht so dumm, wie er gedacht gehabt hätte. Paul blieb bei seinen Freunden am Strand.
Der Rückweg fühlte sich, obwohl wir wegen eines falschen Weges zwischen Kakteen und über Geröll einen Berg hochlaufen mussten, viel kürzer an als der Hinweg. Inspiriert von ganz vielen neuen Gedanken und Eindrücken kamen uns die großen Luxushotels und Tourist:innen viel absurder vor als vorher. Die Busfahrt wurde genutzt, um zu schlafen und nachzudenken.
Bei dem Ausflug dabei waren Annemarie, Cal, Emma, Eva, Felix, Freddy, Jana, Kara, Maja, Nika und Pädagoge Max.
Was abschließend wichtig zu sagen ist, ist, dass der teilweise erwähnte Drogenkonsum (Cannabis) auf keinen Fall zu verharmlosen und auf jeden Fall kritisch zu sehen ist. Paul, der über zehn Joints am Tag geraucht hat, hat eindeutige körperliche Probleme. Wir hatten das Glück, sehr offen mit Paul über den für uns auffälligen Konsum von Cannabis zu reden. Uns gegenüber hat er erklärt, dass ihn die Wirkungen des Drogenkonsums körperlich auf jeden Fall beeinträchtigen und er hat uns stark davon abgeraten.
Ich grüße Moritz, Philipp, Julius und Lotti!
Viele Grüße auch an alle anderen da draußen von der Mitte des Atlantiks,
Freddy
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Nika: Grüßt Noemi, Mama, Papa, Becky und natürlich den Drecksköter.
Cal: Grüße gehen raus an Lou und Aléna – nicht mit Drogen flexen!
Romy: An Mama, Papa, Sissy, Emi, Juli und Ronja. Mir geht es sehr gut. Mir ist immer so warm beim schlafen. Die Gally macht voll viel spaß wir haben heute (25.11.) Pizza gebacken. Ich hoffe, dass bei euch alles in Ordnung ist und das alles so verläuft wie ihr es geplant habt. Ich vermisse euch alle mega doll. Liebe Grüße eure Romy. Hab euch lieb.
max s: Liebe Grüße an meine Eltern, alle meine Geschwister, alle Fire-Spacies, alle Bay-Watchies und natürlich auch Carla und Ben!
Paul: Grüße an Schultzi, Alan, Simon, Flockenhaus, Thöneßen, Jona, Jonas, Jan, Lena, Melina, Merle, Tara, lea und meine allerliebste Familie. Dicke Umarmung.
Lara: ganz ganz liebe Grüße an Lucas und Linus! Ich vermisse euch zwei sehr!
Manuel: Grüßt seine Freunde seiner Art und sendet mega Hammer Grüße.
Nathalie: Grüßt herzlichst Wien, Leipzig, Berlin, Hannover, Osnabrück, Dresden und den Bodensee!