4. Januar 2023 Lernen zu Fliegen
Fredolin blinzelte in die aufgehende Sonne. Er streckte sich und putzte seine Federn, während er den gestrigen Abend noch einmal Revue passieren ließ.
Er erinnerte sich daran, wie er versucht hatte zu schlafen und die lauten Stimmen unten auf dem großen Schiff, auf dem er sich gerade befand, zu ignorieren. Gerade als er es geschafft hatte, ließ ihn ein grässliches Gejaule auffahren, welches sich als der Versuch der Jugendlichen an Deck entpuppte, Weihnachtslieder zu singen.
Weihnachtslieder … an Silvester …
Als er versucht hatte den lauten Stimmen zu entkommen und seinen Unmut zu verdrängen, indem er auf seinen Platz auf dem Course (unterstes Quersegel) und auf das Upper Top Sail (zweithöchstes Quersegel) stieg, erschallte ein infernalischer Lärm und der Mast auf dem er saß, vibrierte.
Die Bewohner des Schiffes hielten es scheinbar für eine gute Idee um 23:30 Musik anzumachen und zu dieser mitzugrölen.
Dann schrien sie alle im Chor:
„10, 9, 8, 7, 6, 5, 4, 3, 2, 1 HAPPY NEW YEAR!“
Als wäre all das nicht genug gewesen, bewarfen sie sich jetzt auch noch mit Eimern voller Meerwasser. Fredolin schüttelte den Kopf. Verrückt diese Menschen.
Jetzt saßen oder lagen ein paar von ihnen an Deck. Sie versuchten den Schlaf nachzuholen, den sie am gestrigen Abend verpasst hatten und nebenbei das Schiff sicher durch das Karibische Meer Richtung Panama zu steuern.
Langsam wurden sie mehr und die, die bis eben noch geschlafen hatten, standen auf. Ein Mädchen betrat die Brücke. Die Menschen begrüßten sie mit „Guten Morgen, Kapitän!“ Kapitän?
Fredolin war verwirrt. Das Mädchen konnte nicht älter sein als fünfzehn oder sechzehn. Jetzt betrat ein Junge die bridge. Er wurde ebenfalls mit: „Good morning officer, how was your night?“ begrüßt.
Jetzt fing der Junge an Kommandos zu geben: „We gonna do a tack. Rudder Port 20. Take down the Main and the Course Sail“. Sofort brach Bewegung unter den Restlichen aus. Sie gingen auf ihre Posten und fingen unter lauten Rufen im Takt an, Leinen loszumachen und andere durchzuholen. Erst sah es aus, als würde das Manöver glücken, jedoch ziemlich schnell verhakte sich das Main Sail zwischen den Lazy Jacks [Seile, die dafür sorgen, dass das Segel beim Runterlassen auf dem Baum bleibt und nicht herunterfällt]. „Stop“, „hoist again“ erschallten die Kommandos. Fredolin wollte sich das nicht weiter mit angucken und flog zurück zu seinem Schlafplatz.
Diese Menschen waren verrückt. Gaben sie den jungen Küken gerade das Schiff in die Hand?
Fredolin konnte sich noch sehr gut daran erinnern, wie es bei ihm damals gewesen war. Seine Mutter hatte ihn einfach aus dem Nest gestoßen. Erst fiel er tiefer, tiefer immer tiefer und hatte Angst. Angst vor dem Aufprall. Doch dann fing er an, herauszufinden, was er machen musste, um sich richtig durch die Lüfte zu bewegen. Jetzt konnte er stolz wie ein Adler über das Meer gleiten und schnell wie ein Falke herabschießen, um einen Fisch zu fangen, den er an der Oberfläche sah. So hatte er fliegen gelernt.
Vielleicht war es bei den Küken unten an Deck genauso?
Er steckte den Kopf wieder unter die Flügel und dämmerte langsam ein. Darüber musste er sich jetzt keine Gedanken machen.
Er wurde von einem beißenden Gestank und lauten Stimmen an Deck geweckt. Würgend sprang er von seinem Schlafplatz und drehte eine Runde um das von schwarzen Rauch umhüllte Schiff.
Die Stimmen wurden lauter:
„Schaltet die Galley aus und den Stern Thruster Generator zu dem Emergency-Generator zu!“, rief einer der Jugendlichen zu den anderen. „Galley ist aus“, erschallte die Antwort. „Der zweite Generator Startet nicht!“ rief ein Lockenkopf zurück. „Fuck Fuck FUCK der Emergency-Generator ist komplett überhitzt.“ Rief der andere.
Die Dichtungen fingen an zu schmelzen und Feuer zu fangen, als er und der Lockenkopf in den Engineroom stürzten und auf den Not-Stopp schlugen.
Stille.
Sie guckten sich beide an und sagten nichts.
Der eine durchbrach sie und fing wie ein Psychopath an zu lachen.
Der Lockenkopf stimmte in das Gelächter ein.
„Scheiße Mann.“
Während die Alarme auf der Bridge langsam verstummten, überlegte Fredolin sich einmal mehr, ob er noch auf dem Schiff bleiben wollte, doch um sie herum war nichts als Wasser. Er hatte wohl keine andere Wahl. Hoffentlich kommt er heil in Panama an, dachte er. Der Rauch verzog sich und alles blieb still. Es war eine so wunderbare Stille. Nur die Wellen und der Wind.
Jetzt wo das permanente Brummen verstummt war, welches der Generator immer von sich gegeben hatte, bemerkte Fredolin erst, wie erlösend und wohltuend die Stille war. Er schlief wieder ein und träumte von einem brennenden, untergehenden Segelschiff über dem er kreiste und zuguckte, wie das Schiff von den Wellen überspült und von den Wassermassen verschlungen wurde.
Als er am nächsten Morgen wieder von den Sonnenstrahlen geweckt wurde, war etwas anders. Es roch anders … Es roch nach … Land!!
Er musste blinzeln, um etwas sehen zu können. Um die ganzen riesigen Schiffe sehen zu können, die um ihn herum ankerten und darauf warteten, durch den Panamakanal fahren zu dürfen.
Sie hatten es geschafft.
Fredolin atmete auf und machte sich auf den Weg Richtung Land. Weg von dem in der Ferne immer kleiner werdenden Stahlkoloss, der sich langsam in den Wellen hin und her wog und sich seinen Weg weiter durch das Meer bahnte.
Sollten diese Menschen doch machen was sie wollten.
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Geschichte aus Sicht eines Vogels an Deck, beruhend auf wahren Begebenheiten.
Geschrieben von: Tjark
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Grüße:
- Tjark: Grüße an alle zu Hause.
- Eva: Hallo Mama, jetzt nochmal ganz aktuell: Alles Gute zum Geburtstag, feier schön und wehe, wenn nicht. Hab dich lieb.
- Kiljan: Isa, ich wünsche dir den schönsten und tollsten Geburtstag und freue mich ihn nächstes Jahr mit dir feiern zu können.
- Anika: Grüße an Sara, Dev, Theißen, Linus und Ratte. Ich hoffe, ihr genießt eure Ferien btw einkolofomieren hat geklappt.