7. April 2023 Bloghandover: Teil 1
7.4.2023, 16:52 Uhr
Position: Nordatlantik 39°56.288‘ N 26°59.859‘ W
Kurs: 35° · Geschwindigkeit: 3.6 Knoten
Wetter: sonnig und guter Dinge, 19,5°C, Wind: 2-3 NW
Gesetzte Segel: inner jib, forestay sail, main stay sail, main sail
Zurückgelegte Seemeilen: ca. 13920 (die Angabe ist leider ungenau, unser Zähler springt ab und an)
Stimmung: Es ist Handoverzeit! Das heißt, hier summen viele fleißige Bienchen, alle sind involviert und haben eine ganz neue Motivation!
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Bloghandover
Teil 1 von 2: Erst der Blog, dann das Handover
Dies ist ein Artikel mit Metaperspektive, ein Blog über den Blog. Eigentlich wollte ich über das Bloghandover schreiben, bin dann aber während des Tippens woanders abgebogen und erkläre erstmal etwas Allgemeines zum Blog.
Unser Reiseblog ist ein wichtiges Element unserer siebenmonatigen Zeit zusammen. Meine Aufgabe ist es unter Anderem, diesen zu betreuen und ich bin dafür verantwortlich, dass ihr alle regelmäßig hier über unser Erleben auf dem Laufenden gehalten werdet. Mein lieber Kollege Mäx ist darüber hinaus für Bilder und Videos zuständig, hauptsächlich für die, die außerhalb der Artikel veröffentlicht werden.
Einige Jugendliche helfen mir seit Beginn der Reise tatkräftig mit dem Blog. Sei es, indem sie mit dem schnellen Schreiben von Artikeln einspringen, wenn mal wieder jemand „vergessen“ hat, dass er/sie sich auf der Liste an der Afttür für einen bestimmten Tag eintrug (besonderen Dank an Nele, Lara und Cal!), sei es, indem daran gedacht wurde, dass wir stets einen Ankunfts- und Ablegebeitrag brauchen (danke Jule) oder für das Hochladen von Instagramstories (danke an Carla P., Nanna und Lara).
Aber was gehört denn jetzt zu diesem Blog, was gibt es da zu handovern?
Wir als High Seas High School fahren seit Langem sehr gut damit, einen ausführlichen und regelmäßigen Reiseblog für sowohl die große siebenmonatige Reise als auch für die ein-, zwei- oder dreiwöchigen Reisen im Sommer zu veröffentlichen. Die Teilnehmenden schreiben die Blogartikel, sie werden an Bord gegengelesen und besprochen bzw. teilweise auch zusammen geplant sowie strukturiert und an Land mit passendem Layout auf die Website gestellt. Die Zuhause Gebliebenen, Ehemalige und Zukünftige sowie anderweitig Interessierte können mindestens dreimal wöchentlich (Montag, Mittwoch und Freitag) einen mehr oder weniger frischen Blog lesen, oft auch häufiger, wenn wir mehr Texte haben bzw. wir ankommen bzw. ablegen. Zwischendurch kommen noch Bildergalerien oder andere besondere Berichte.
Damit man online einen Blog lesen kann, müssen zuvor natürlich verschiedene Schritte ablaufen: An der Afttür [die Tür zum Erwachsenenbereich, an der wichtige Zettel hängen] befindet sich eine Tabelle mit den vorgegebenen Wochentagen und Erklärungen zu unserer Route sowie freien Spalten zum Eintragen von Name und Themenidee.
Ich beobachte stets, dass die Jugendlichen durchaus durchgehend Lust haben, einen Blog zu verfassen und somit über Erlebtes zu berichten, Familie und Freunde an ihrem Leben teilhaben zu lassen und Erfahrungen in dieser Form zu reflektieren. Sie selbst lasen den Blog der vergangenen Reisen begeistert und wollen nun etwas Ähnliches erschaffen. Auch die Breite an Ideen für Texte reißt nicht ab, neben Tagesberichten kommen philosophische Gedanken, Geschichtliches, Interviews, Perspektivwechsel usw. Allerdings ist es sehr häufig der Fall, dass man doch gerade etwas Besseres zu tun hat, wenn der Blog eigentlich abgegeben werden soll (normalerweise stets am Abend vor Veröffentlichungstag). Das liegt an unserer Reise an sich, hier jagt ein Highlight das nächste, FOMO [Fear Of Missing Out / Angst, etwas zu verpassen] ist allzeit präsent und das Leben im Moment scheint vor Aufgaben, für die man sich nun mal aktiv Zeit nehmen muss, relevanter. Hier ist also das ‚Hinterherlaufen‘ eine sehr häufige bis tägliche Tätigkeit, der ich nachgehe (man muss sich an Bord ja auch fit halten).
Wenn nun ein zauberhafter Blogartikel verfasst wurde, lese ich ihn (meist zusammen mit dem/der Verfasser*in) Korrektur und passe Rechtschreibung und Grammatik sowie Perspektive im Gespräch grob an. Hierbei habe ich stets die stellvertretende ‚Oma Gertrud‘ im Blick: Versteht sie, was die Jugendlichen hier schreiben? Wird der Kontext deutlich? Ist für die Landratten klar, warum dieses Ereignis hier an Bord so eine Bedeutung hat? Gibt es einen roten Faden oder habe ich mit zum Blog ein Stückchen rote Schnur abgegeben bekommen, weil er im Blog nicht vorhanden ist [wahre Geschichte]? Das Korrekturlesen kann kurzweilig sein (Cal: „Vici, du wirst keine Rechtschreibfehler finden, es gibt keine.“ – Das stimmte!) oder mehrere Stunden dauern, wobei ich mir zum Teil folgenden und viele weitere Fragen stelle:
Worum geht es überhaupt?
Wieso fehlen die Bilder, obwohl ich stets sage, dass wir mindestens drei Bilder (am besten benannt!) pro Artikel brauchen?
Von wem ist dieser Text, hier steht nicht mal der Name?
Wieso fehlen die nautischen Angaben schon wieder?
DAS habt ihr angestellt?!
Versteht diese Jugendsprache jede*r?
Möchte die Person wirklich, dass DAS im Internet steht?
Muss ich die ganzen Rechtschreibfehler in den Grüßen korrigieren oder lasse ich das jetzt?
Wieso fehlt hier die Erklärung, das versteht zu Hause kein Mensch bzw. Christiane und Christoph werden aufgeregte Anrufe erhalten, wenn wir das nicht erklären…
Darüber hinaus denke ich aber auch oft:
Wow, das ist mal eine Erkenntnis!
Schön, dass die Kinder so einen großartigen Tag hatten!
Krasser Text!
Um Himmels willen, ich lache mich tot!
Beeindruckende Recherche!
So haben sie dieses Ereignis wahrgenommen – toll!
Hier steckt aber eine Arbeit drin – wann hat er/sie sich denn dafür die Zeit genommen?!
Wenn die Texte erstellt, gelesen und besprochen wurden, werden sie – hoffentlich mit Bildern, welche alle nach diesem Muster benannt müssen, um sie gescheit wiederzufinden: ‚230407_Bloghandover durch die Jugendlichen © Annemarie‘ hochgeladen. Hier gibt es zwei unterschiedliche Wege, je nachdem, ob wir mobile Daten bzw. WLAN nutzen können oder über Satelliten mit unserer redaktionellen Ansprechperson Steffen kommunizieren müssen. Wenn wir Kontakt zur Zivilisation haben, lade ich den Text, in dem jetzt schon mindestens 1-2 Stunden Arbeit stecken, hoch in unser Onlinespeichertool und erstelle dazu Ordner. Hier kommen dann hoffentlich auch die Bilder rein, die mir dazu abgegeben wurden. Häufig bekomme ich Artikel ohne Bilder und suche dann selbst – in Absprache – auf meinem Handy, welches ich immer in der Hand habe, passende, den Artikel unterstützende Bilder, benenne sie und lade sie auch hoch. Dann eine schnelle Mail oder WhatsApp Nachricht an Steffen, dass er einen neuen Blog erhalten hat und dann gespannt abwarten, bis die Rohmaterialien zusammengebastelt, nochmal journalistisch gecheckt und als ein rundes Produkt hochgeladen wurden.
Auf See, oder auch, wenn es eine (!) geschlagene Woche dauert, bis wir als Projekt an eine (!) SIM-Karte kommen (die dann nur alle drei Stunden funktioniert [Kuba]) bzw. wenn wir kein WLAN an Land finden, dann nutzen wir unsere Satellitenverbindung. Hierfür haben wir eine für HSHS an Bord (Danke an den 2. Offizier Kay fürs Einrichten, davor hat er die von mir vorbreiteten Nachrichten in seiner Nachtwache zwischen Mitternacht und 4 Uhr herausgesendet) und auch eine zusätzliche interne SMS-Satellitenverbindung. Hierüber können wir aber keine Anhänge und schon gar keine Fotos senden, sondern nur Text. Dieser muss irgendwie auf mein iPhone gespielt werden (immer in Momenten der schnellen Abgabe gibt es kein anderes Applegerät, der USB-Stick will nicht, Airdrop ist im Urlaub oder der Text wurde beim Kopieren gelöscht). Dann kopiere ich den Text wieder und verpacke ihn als Satellitennachricht mitsamt Codewort, wozu wir die Antwort dann über unseren SMS-Zugang erhalten (meistens sowas wie „Instantnudeln“ / „Zitrone!“/ „Seegurke“/ „Himbeere“ oder auch ein präzises „frittiertes Eis am Stiel“). Oft dauert es 30 Minuten, bis der Satellitenzugang funktioniert und etwas senden möchte und ganz selten geht die Nachricht dann auch mal woanders hin (vermutlich in die Weiten des Alls). Das wissen wir dann aber über unsere Codewörter („Sushi kam an!“ / „Hast du die Elefantenhaut erhalten?“).
Eine große Hürde in dieser wirklich schönen Aufgabe ist die Technik. Sie ist Fluch und Segen und im Offlineprojekt habe ich dennoch mehr Screentime als jemals zuvor.
Auch die Stunden, die ich damit verbracht habe, „Schubidu“, „Anita“ und all die anderen USB-Sticks zu suchen, die ich herausgab, damit die Jugendlichen ihre fertigen Blogartikel samt Bildern oder auch Schulmaterial und Fotos darauf speichern können, sind für das menschliche Gehirn nicht zählbar. Grundsätzlich ist der USB-Stick weg, wenn ein Blogartikel dringend hochgeladen werden muss und auf dem Laptop selbst wurde der Artikel natürlich wiedermal nicht gespeichert. Andersherum geht das aber natürlich auch: die Ladekabel für unsere Projektlaptops sind ebenso grundsätzlich nicht da. Schon seit einiger Zeit wartet somit ein Blockartikel von Charlotte über Sonntage hier an Bord auf seine Veröffentlichung, aber das fehlende Ladekabel macht dieses Vorhaben unmöglich. Was außerdem immer, aber wirklich immer, eintritt (mein Bloghandover-Team nickt bestätigend) ist, dass der Laptop, der verwendet wird, um einen Artikel direkt hochzuladen oder den Artikel auf ein Macbook zu kopieren, um ihn mir dann für den Satelliten zu airdropen, mangels Strom im falschesten aller Momente herunterfährt. Und über das erfolgreiche Suchen von Ladekabeln hier an Bord sprach ich ja bereits…
Nun zu den erwähnten schönen Seiten dieser Aufgabe: Die Betreuung des Blogs bedeutet ein enges Zusammenarbeiten mit den 43 jungen Menschen hier an Bord. Nicht immer, aber oft eröffnet das Gespräch über einen Text bzw. das Gespräch über Erlebtes, welches der/die Schüler*in gerne abtippen möchte, einen sehr wertvollen Austausch. Wir nehmen uns die Zeit, Ereignisse, die man teilweise kaum in Worte fassen kann, in Worte zu verpacken und intensiv darüber zu sprechen, was sie über sich und über die Welt entdeckt haben. Sie wissen um die Besonderheit dieser Reise und um die Möglichkeit, mittels des Blogs bzw. Social Media an der ‚Berichterstattung‘ und an ihren eigenen Erinnerungen (Blogbuch!) mitzuwirken. Die Jugendlichen dabei zu begleiten ist etwas ganz Besonderes und bereitet mir viel Freude (wenn ich nicht gerade etwas suche oder – wie die Kinder es bereits in einem Blogartikel im Oktober nannten: an Bord ist immer Ostern).
Nach der Abgabe checke ich minütlich mein Telefon bzw. aktualisiere die Website unseres Projektes, um zu schauen, ob der Artikel schon online ist. Oft zaubert Steffen den kleinen Einführungstext zum Blogtext auf der Übersichtsseite. Er passt das Layout an, schaut mit seinen geschulten Journalistenaugen über den Text und bespricht sich bei seltenen Rückfragen mit Christiane und Christoph sowie mir. Ich kontrolliere nochmal alles, wenn der Text „oben“ ist – ich kann nicht anders. Sind die Fotos an der richtigen Stelle? Sind alle Jugendlichen richtig mit Namen benannt? Gibt es Kopier- oder Tippfehler? Fehlt etwas? Ich gebe dem/der Verfasser*in dann sofort mein Smartphone, damit sie schauen können, wie ihr Werk am Ende online ausschaut, wie es sich auf der Website einfügt und ob sie zufrieden sind.
Apropos der rote Faden! Ich wollte ursprünglich über das BlogHANDOVER schreiben, jetzt bin ich doch in eine allgemeine Erklärung zum Blog abgerutscht. Dies soll also Teil 1 meines Artikels sein, Teil 2 folgt in den kommenden Tagen.
Immer fleißig lesen
Vici
Grüße:
- Romy: Ich grüße meine Familie, Freundin, Hasen und alle drum herum. Es sind nur noch 26 Tage, dann sehen wir uns alle wieder und können uns wieder umarmen. Liebe Grüße, eure kleine Romy.
- Nele: Mir geht es gut! Am Mittwoch wurde ich zum student rep (student representative = Schüler*innenvertreterin) gewählt. Das Handover hat gestern gestartet. Ich freue mich bald wieder bei euch zu sein!
- Vici: Liebe Peggy, ganz hellbunte Grüße an dich! Du hast bei der 29. Reise so krasse Arbeit geleistet, auch und im Besonderen beim Blog. Ich konnte ganz viel von dir lernen!