4. Mai 2022 Träume
Position: Elbe
Kurs: Heimathafen Hamburg
Bisher zurückgelegte Seemeilen: 15.473,77 sm
Temperatur: 9°C
Wetter: klar
Geschwindigkeit: hoffentlich keine, vor Anker
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Träume
Ich würde grad‘ lieber im Bett sein und träumen,
als hier in der Schule den Traum zu versäumen
Was könnte man träumen, läge man nett
von morgens bis abends den Tag nur im Bett?
Von Leuten, die lachen, von Winden, die weh‘n
von Schiffen, die fahr‘n um die Meere zu seh‘n
Galoppierende Pferde in endlosem Land
ein Meer nur aus Eis und ‘ne Wüste voll Sand.
Springende Fische in wärmendem Licht,
ein Dschungel mit Tieren, das glaubt man ja nicht!
Regenbögen, kristallklare Seen
und riesige Berge mit Gipfeln voll Schnee…
„Hallo?“, fragt mein Lehrer, „Was machst du denn da?!“
„Ich träume“, antworte ich, „Sehen Sie ja.“
Er schüttelt den Kopf, dreht sich um, geht davon.
Oh wirklich, manch seltsame Leute gibt‘s schon…
Doch ist nur zu träumen denn wirklich so klug?
Vielleicht hat man irgendwann einfach genug, davon,
immer nur an einer Stelle zu steh‘n
und Orte nur in seinen Träumen zu seh‘n
Ja eigentlich, denke ich mir und steh´ auf,
leb‘ ich lieber mein Leben und mach was daraus.
Denn irgendwo, weiß ich mit Sicherheit,
gibt‘s so traumhafte Dinge in Wirklichkeit!
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Dieses Gedicht habe ich vor sehr langer Zeit in einer Pause in der Schule geschrieben. Es war vor zwei oder drei Jahren, glaube ich, als ich gerade davon erfahren hatte, dass man während der Schulzeit mit einem Schiff über den Atlantik segeln kann. So theoretisch. Und ich glaube, der Gedanke hat mich ziemlich fasziniert.
Jetzt sitze ich hier an einem Tisch in der Messe und habe bald sieben Monate damit verbracht, zusammen mit 43 tollen Mitschüler:innen, Lehrer:innen und der Crew um die Welt zu segeln. Wir haben Schiffe und Winde und Meere gesehen, so viel wir uns nur wünschen konnten, Schwärme von springenden Fischen sind an uns vorbeigezogen, wir sind in Costa Rica durch den Regenwald gestreift, haben Berge bestiegen (auch wenn der Schnee gefehlt hat) und auch lachende Menschen gab es genug.
Wenn wir in Hamburg ankommen, werden wir zum ersten Mal nach diesen 211 Tagen unsere Familien und Freunde von daheim und unser Zuhause wiedersehen und ich glaube, jede:r von uns freut sich auf dieses Wiedersehen.
Auf der anderen Seite ist es aber auch der Abschied von unserer neuen großen Familie und unserem Zuhause auf dem Schiff. Gerade in den letzten Wochen habe ich extrem gemerkt, wie sehr die vergangenen Monate uns zusammengeschweißt haben und ich kann mir noch nicht so richtig vorstellen, wie ich in Zukunft wieder ohne diese Gruppe auskommen soll. Alleine in einem Zimmer zu sitzen und dass es um mich herum auf einmal still ist. Dass wir alle wieder verstreut sind und man zu viele Stunden braucht, um sich zu besuchen.
Ich frage mich, was ich Menschen zuhause antworten soll, die mich im Vorbeigehen fragen: „Und, wie war‘s?“
Es ist absolut unmöglich, diese sieben Monate mit allen Erlebnissen und Erfahrungen, allen Hochs und Tiefs, die wir durchlebt, allen neuen Bekanntschaften, die wir gemacht haben und allem, was jede:r von uns aus dieser Zeit mitgenommen hat, in drei Sätze zu packen.
Auf jeden Fall bin ich unglaublich dankbar, diese Reise gemacht haben zu dürfen und bin gespannt, was die Zukunft uns noch bringen wird. Denn wie unser Bordarzt Pieter sagt:
Schöne Momente müssen enden, damit Neue beginnen können.
Eure Annika
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PS von allen: Ein großes Dankeschön an Steffen, der nicht nur hinter unserem Freezer sondern auch in Berlin wohnt ;) und sich von dort aus die gesamte Reise lang mit vollem Einsatz darum gekümmert hat, dass dieser Blog so geworden ist, wie er war!
PS von Antonia M.: An meine Familie: Denkt dran, Tippi hat heute Geburtstag, gebt ihr ein extra Leckerlie und nehmt sie für mich doch einmal in den Arm. Bis Morgen! - Toni