14. November 2021 Jüngster Spross an Bord: Hubert
Position: 14° 53.538´ N 55° 10.869` W
Kurs: 255°
bisher zurückgelegte Seemeilen: 5773.65 NM
Wetter: teils bewölkt · Luft 29°C · Wind: O 4
gesetzte Segel: inner jib, forestay sail, lower topsail, upper topsail, mainstay sail, main sail
Geschwindigkeit: 7.4 kn
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Unser neues Crewmitglied »Hubert« stellt sich vor:
Hallo, ich bin Hubert, eine Topfpflanze, genauer gesagt eine Aloe Vera. Ich komme von den Kap Verden und seit ich mich erinnern kann, lebte ich bei einer alten netten Frau mit dem schönen Namen Monika in Mindelo, Sao Vicente.
Vor vier Monaten habe ich meine ersten Blätter aus der Erde gestreckt und die ersten Sonnenstrahlen haben meine grüne Haut berührt. In dem Monat habe ich viel Wasser bekommen, damit ich groß und stark werden konnte. Damals lernte ich auch meine Freunde Timmy und Horst kennen. Horst stand links neben mir auf dem Fensterbrett in unserer bescheidenen Behausung und ist schon sehr alt und weise. Ganz im Gegensatz zu Timmy, der rechts neben mir stand und circa in meinem Alter ist. Mit zwei Monaten wurde ich dann in einen schönen, neuen und geräumigen Topf mit einem noch schöneren cremefarbenen Übertopf umgetopft. Im Alter von drei Monaten hat mich Monika dann zum ersten Mal mit zum `Handcraft-Market´ in der Mitte der Stadt genommen. Dort wurde ich dann fein säuberlich in ein Regal neben Horst und Timmy gestellt und habe dort den Abend überdauert.
Am dritten Tag jedoch geschah etwas Unglaubliches! Ein junges Mädchen kam auf mich zu, hat mich mit großen Augen angeguckt und ich wurde von Monika aus dem Regal genommen. Nach fünf Minuten wurde ich dann allerdings wieder zurückgestellt und das Mädchen entfernte sich, kam aber schon nach einigen Augenblicken zurück, sie hatte nur eben kurz Geld holen müssen. Ihr Name war Tjede, wie ich aus einem Gespräch zwischen ihr und ihren Freund:innen Tina und Paul entnehmen konnte. Während sie mit Monika über den Preis verhandelte, was nicht viel ändern konnte, habe ich mich von Horst und Timmy verabschiedet. Von ihr wurde ich dann auf den Arm genommen und mehrfach über den Markt geschleppt.
Um 22 Uhr ging es dann Richtung Hafen und wir sind auf ein kleines, schwarzes Schlauchboot gestiegen. Mit diesem sind wir dann nach einem wilden und total aufregenden Trip an einem riesigen Dreimaster angelangt. Da gab es eine heikle Szene, wo ich kurz dachte, jetzt ist es mit mir aus und vorbei, als ich in einem waghalsigen Manöver auf das Schiff übergeben wurde. Am Ende ist aber dann doch alles gut gegangen. Auf dem Schiff wurde ich dann hinter der Essensausgabe vor einem Bullauge festgebunden, mit einem super Blick in die Messe und raus aufs Wasser, viel besser als der eintönige Blick aus Monikas Fenster. Dort hat man mich das erste Mal seit langem wieder gegossen und ich habe Bekanntschaft mit Wilfried dem Sandwich-Maker gemacht, der von jetzt an schräg unter mir steht. Er hat mir von den wildesten Manövern und Geschichten, die er hier schon erlebt hat, erzählt und konnte gar nicht mehr aufhören zu reden.
Die nächsten Tage verliefen ziemlich ereignislos, ich wurde viel angeguckt, aber mehr ist auch nicht passiert, bis dann am Freitag vor 1,5 Wochen der Anker gelichtet wurde und wir raus auf hohe See gefahren sind. Nach einigen Stunden wurde das Geschaukel immer stärker und ich glaube, ich bin noch ein wenig grüner als normalerweise geworden.
So hänge ich jetzt hier und genieße die Zeit auf dem Schiff und freue mich schon auf Martinique, wo wir als nächstes Ankern werden und hoffe, dass ich vielleicht ein paar Wörter Französisch lernen kann (man fährt ja nicht alle Tage um die Welt).
Viele Grüße
Hubert
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Foto: ©Tim Reckmann / pixelio.de
Text: aus dem Portugiesischen »übersetzt« und aufgeschrieben von Paul