6. Januar 2022 Ein Tag durch meine Augen
Ein Tag durch meine Augen
Hi, ich bin Jade und lade dich ein, mich heute durch einen ganz gewöhnlichen See-Tag* zu begleiten.
Mein Morgen beginnt um 6:45 Uhr damit, dass ich von jemanden aus der 4:00–8:00 Wache geweckt werde zum Sternenhimmel-Yoga mit Peggy und allen anderen, die sich am Abend zuvor in die entsprechende Liste eingetragen haben. Wenn wir gegen 7:30 Uhr ready für den Tag sind, geht die Sonne auf und ich Richtung Frühstücksbuffet. Es macht mich stolz, schon etwas für mich getan zu haben, während viele noch schlafen. Mit viel Glück hat das Kombüsenteam, die galley watch, Pancakes oder etwas anderes Leckeres zusätzlich zu breakfast 1 standard (so heißt das Basisfrühstück hier) gezaubert: eine Brotsorte (immer die Gleiche), eine Käsesorte (immer die Gleiche), Salami und Kochschinken, Erdnussbutter, Erdbeermarmelade, Nutella, Müsli, Milch, selbstgemachte Hafermilch und Obst und Porridge. Um 8:45 bin ich dann fertig mit Zähneputzen, Umziehen, Schulsachen rauskramen und höre die entsprechende Lehrperson ‚gongen‘.
12:00 Uhr (pünktlich zum Mittagessen) sind wir dann fertig mit zwei Unterrichtsblöcken von 90 Minuten und um 13:00 findet das All-crew-meeting statt. Dieses beginnt immer mit den wichtigsten Infos von der ersten Offizierin Anousch: Heute stellen wir unsere Uhren um, bisher war die Bordzeitzone eine Stunde ›hinter‹ Deutschland, jetzt sind es zwei.
Kacper, der Maschinist, der uns auf Teneriffa verlassen hat, ist Vater geworden und wir werden ein kurzes Gratulationsvideo für ihn produzieren. Die wasserdichten Türen müssen geschlossen bleiben, weil das Risiko besteht, dass eine heftige Böe uns zur Seite drückt, unser Boot vollläuft und wir auf einer Rettungsinsel landen. Die vierte und letzte Mitteilung ist, dass wir von nun an eine andere Zählweise für das Sammeln vor dem Meeting haben.
Jetzt habe ich Freizeit: ich kann Hausaufgaben nachgehen, in meiner Koje (die ich irgendwann mal genauer vorstellen werde) faulenzen, lesen, nähen, Karten spielen, an Deck helfen, Briefe oder Tagebuch schreiben …. Meistens schlafe ich tatsächlich, denn Schlaf ist hier ein richtiger Luxus.
Um 17:00 geht das Programm weiter… wir haben Seamanship und das ist entweder Arbeiten an oder unter Deck oder nautischer Unterricht. Heute fällt es leider aus, aber ich kann erzählen, was wir gestern gelernt haben. Um ein Segel zu flicken, sucht man zuerst geeignete Segelleinwand aus (diese darf nicht dicker oder dünner als das Segel und muss von passender Struktur sein) und misst dann ab, wie groß der Flicken sein muss. Man skizziert – der Faserung des Segels folgend – die Form auf den Flickstoff, schneidet sie mit der Stoffschere aus, versiegelt die Kanten mit einem heißen Messer, bestreicht den Flicken und die kaputte Stelle mit Spezialkleber, lässt es kurz antrocknen, drückt beide Seiten aufeinander und lässt es gut trocknen. Im zweiten Schritt geht es um das Nähen, weil der Kleber nicht sehr lange hält. Man wählt eine Nadel in angemessener Stärke (ist sie zu dick, entstehen Löcher im Stoff; ist sie zu zierlich, bricht sie), zieht das Garn durch einen Block Bienenwachs, um es ›flutschiger‹ zu machen und beginnt, den Flicken um das Loch herum festzunähen. Zuletzt wird die Außenkante des Flickens nochmal extra am Segel fixiert. Ich habe Bosun Fabian drei Fragen hierzu gestellt:
Woher kommen die Löcher überhaupt oder wie entstehen sie?
Es gibt eigentlich nur zwei Gründe: Materialermüdung, da wird das Segel im Lauf der Zeit einfach immer dünner, ähnlich wie bei einer alten Jeans und shaving, Scheuern, das ist der Fall, wenn das Segel ständig an Seilen oder Ähnlichem scheuert.
Wie lange dauert es bei einer geübten Person, ein 2-Euro-Stück großes Loch zu flicken?
Das kommt sehr darauf an, wie einfach die Stelle zu erreichen ist, aber wenn man gut vorankommt, kann man mit etwa einer Stunde vom Anfang bis zur Fertigstellung rechnen.
Warum macht man sich denn den Aufwand, wenn das so lange dauert?
Das Loch wird sonst immer größer und irgendwann reißt das Segel, wenn man es nicht flickt.
Okay, Dankeschön.
Zurück zu meinem Tag: um 18:00 ist das Seemanship beendet und alle strömen zum Abendessen in die Schülermesse. Gestern gab es sehr leckeren Grillkäse, grüne Bohnen, Couscoussalat und normalen Salat. Das Essen haben ungefähr zehn Schüler:innen unter freiem Himmel genossen. Danach sind wir noch nach ganz vorne in das Netz geklettert und haben ein paar Fotos voneinander gemacht. Ich persönlich bin sehr gerne im Klüvernetz, insbesondere, wenn es Delfine oder fliegende Fische zu sehen gibt. Naja, und dann war es auch schon 20:00 Uhr: Wachbeginn.
Ich habe mich wie gewohnt mit meinen fünf Leuten (Tina, Mika, Jette, Casper und Jill) getroffen und mir prompt auf dem Weg zum Bridgedeck (das ist das höchste Deck, wo eben auch die Brücke stationiert ist) einen wunderschönen neuen blauen Fleck geholt. Naja, das gehört hier aber eben auch dazu. Mit einem Kühlpack (Shoutout an Joni, der das für mich geholt hat) ging es weiter: heute war ich das Oberhaupt (naja, wir nennen es watchleader) und habe den Überblick behalten, wann welche Personen wo sind. Jette und Casper haben freiwillig die Badezimmer geputzt, der Rest des Teams hat zwei Segel gepackt, ich habe Logbucheinträge verfasst, unsere Position in die Karte eingetragen, etc. pp. Der Kapitän sitzt eigentlich nur für Notfälle dabei, den Rest machen wir Schüler:innen jetzt schon allein. Um 00:00 wurden wir von der 00:00- 04:00 Wache abgelöst, ich habe noch schnell ein Peanutbutter-and-Jam-Toast gesnackt (die halten mich nachts echt am Leben) und habe mich dann direkt bettfertig gemacht. Um 00:34 bin ich dann fix und fertig in meine Koje gefallen und direkt eingeschlafen.
Ich hoffe, ihr habt meinen kleinen Einblick genossen und einen besser riechenden Schlafplatz als ich, der Schlafsaal riecht nämlich arg nach Füßen.
Eure Jade :)
*Der Beitrag ist bereits auf der anderen Seite des Atlantiks auf unserem Weg zu den Kap Verden entstanden. Inzwischen liegt unsere Bordzeit sechs Stunden ›hinter‹ Deutschland. Damals hatten wir technische Probleme, Bericht und Bilder hochzuladen – und in den Tagen danach passte der »See-Alltag« irgendwie nicht zu unseren Abenteuern auf Kap Verden, Atlantik oder den karibischen Inseln.