Neu an der Lietz: Lehrerin Anne Traphan
Aus der Großstadt auf die Insel - für unsere neue Kunstlehrerin Anne Traphan war das ein Abenteuer, auf das sie sich voll und ganz einlassen wollte. Und für die Lietz-Gemeinschaft ist sie ein echter Gewinn. Für unser kleines Interview hat sie uns von ihrer Motivation als Lehrerin und ihren ersten Wochen am Inselinternat erzählt.
Von wo hat Dich Dein Weg hierher zu uns auf die Insel geführt?
Ich komme aus einem denkbar großen Kontrastszenario auf die beschauliche Insel Spiekeroog.
Die letzten neun Jahre habe ich in Berlin gelebt und an einem Gymnasium Kunst, Englisch und Deutsch als Zweitsprache in Willkommensklassen unterrichtet.
Ursprünglich komme ich aus Essen-Kettwig, einer kleinen Stadt im Ruhrgebiet, wo ich noch enge Verbindungen hin habe. Im Norddeutschen bin ich allerdings auch verwurzelt. Hier leben mein Bruder mit seinem Sohn und meine Eltern.
Was war Deine Motivation Lehrerin zu werden?
Meinen beruflichen Weg kennzeichnet Vielfalt, oder man könnte auch sagen, er verlief nicht unbedingt gradlinig. Lehrerin zu werden war nicht mein ursprünglicher Plan und in der Retrospektive hat mich wohl meine freiberufliche Tätigkeit in der Bildung und Vermittlung des Folkwangmuseums Essen – diese hat damals mein Kunst-/ Lehramtsstudium finanziert – motiviert, beruflich den Kontext Schule zu betreten.
In Projekten, Führungen und Workshops mit Kindern und Jugendlichen habe ich damals entdeckt, wie viel Spaß ich daran habe, Inhalte, die mich selbst begeistern, auch zu vermitteln und gemeinsam in kreative Arbeitsprozesse einzutauchen.
Ich finde es spannend herauszufinden, was junge Menschen bewegt, sie zu stärken, daraus künstlerische Projekte zu entwickeln und dabei zu sein, wenn aus Neugier oder auch Widerständen heraus Kreatives entsteht. In meiner Lehrerinnenrolle sehe ich mich vor allem als Impulsgeberin, Brückenbauerin und Freiraumschafferin. Angstfreie Räume zu eröffnen, in denen Schüler*innen Zugänge zu ihren ganz eigenen Potentialen erforschen, Lust am Lernen erleben, ihre Wahrnehmung schulen können und in denen, mittels der Kunst, auch Persönlichkeitsentwicklung stattfindet – das treibt mich an. Außerdem ist es mir wichtig, Ansätze einer diskriminierungskritischen, antirassistischen Praxis in der Bildung zu stärken.
Die Lietz als Internat auf einer kleinen Nordseeinsel ist ein nicht ganz so gewöhnlicher Arbeits- und Lebensort.
Was hat Dich dazu bewogen, die Herausforderung „Lietz" anzunehmen und was hast Du davor gemacht?
Ich hatte den Gedanken, dass es Zeit ist, etwas Neues zu beginnen. Kontraste und in Bewegung zu bleiben. Beides zieht sich wie ein roter Faden durch meinen Lebenslauf.
Spiekeroog kenne ich aus sommerlichen Strandbesuchen während meiner Jugendzeit. Nach einigen Jahren in großen Städten, mit all ihrer Vielfalt und Buntheit, habe ich den Wunsch verspürt, näher an der Natur, mit guter Luft, weniger Lärm und entschleunigter zu leben. Das Meer war schon immer ein ‚magischer Ort‘ für mich.
Gleichzeitig treiben mich seit längerem Fragen und Bedenken rund um das klassische Schulsystem um. Ich bin gespannt auf eine sicherlich ganz andere Schulerfahrung, die ich an der Lietz machen kann. Am Schulkonzept reizt mich, dass Lernen hier, neben dem Klassenraum, an verschiedensten Orten stattfindet. Ich selbst freue mich auf Lernzuwachs bei der Mitgestaltung der Gartengilde und in der Hühnerhaltung.
Auch dass die Welten von Schüler*innen und Pädagog*innen hier, schon alleine durch den Internatskontext und das Teilen verschiedenster Alltagssituationen, nicht so separiert verlaufen, wie ich es bisher aus Schule kenne, war für mich ein Beweggrund an die Lietz zu kommen.
Die letzen elf Jahre habe ich an zwei Gymnasien unterrichtet, in Duisburg und Berlin. Vor meiner Schullaufbahn habe ich mehrere Jahre in einer internationalen Unternehmensberatung gearbeitet und schon einmal anderthalb Jahre auf einer "Insel" gelebt: Australien. In der Rückschau sind es auch diese verschiedenen Stationen, beruflich und örtlich, die mich geprägt haben und meinen Blick auf Schule weiten.
Neben dem Unterrichten ziehe ich Energie aus der eigenen künstlerischen Arbeit. Außerdem möchte ich dazu beizutragen, Schule für einen Dialog mit anderen Kultureinrichtungen zu öffnen. Zuletzt habe ich in dieser Hinsicht eine Weiterbildung im Kuratieren an der UDK Berlin gemacht. Ich finde es spannend, die kuratorische Praxis als Form des konstellativen Denkens und Handels perspektivisch in Schule wirksam zum machen, z.B. in Form kollaborativer Projekte mit Kunststudent*innen und/ oder Museen.
Wie waren Deine ersten Wochen im Internat? Welche Eindrücke hast du gewonnen?
Die erste Zeit hier war und ist intensiv: Ich bin schon einmal umgezogen und lebe jetzt gemeinsam mit sechs Schüler*innen und einer Kollegin im ‚Tiny-Dörp‘. Außerdem habe ich, mit einer Gruppe von Schüler*innen und mit der Hilfe einer Schülerinnen-Mutter, die Erfahrung gemacht, Hühner zu schlachten, deren Fleisch in unserer Schulküche verwertet wird – als ‚Städterin‘ ein eindrückliches Erlebnis.
Ich wurde mit Porträtzeichnung (Danke Maxi!) herzlich in einer Schulfamilie aufgenommen und habe viele aufgeschlossene neue Kolleg*innen kennengelernt. Ein Kunst-Leistungskurs mit nur 8 Schüler*innen – was für ein Luxus! Besonders bewegt mich aber eine andere Form der Begegnung mit Schüler*innen, die der Internatskontext aber auch das hier an der Lietz gelebte Selbstverständnis ermöglichen – weniger durch Hierarchie als durch authentisches, menschliches Miteinander geprägt. Das empfinde ich als eine sehr wertvolle Erfahrung.
Hast Du schon einen Lieblingsplatz auf der Insel gefunden?
Strand und Dünen, insbesondere in ihrer völlig naturbelassen Form Richtung Ostplate. In meinem Tinyhaus gefällt es mir auch richtig gut. Ich genieße die Reduktion, das Leben in natürlichen Baumaterialien und ganz besonders den Blick von meinem Arbeitsplatz durchs Panoramafenster ins Grüne.