„Lernen sichtbar machen“ – Die Lietz praktiziert den Perspektivwechsel
Im kürzlich erschienenen Artikel „Es wird zu viel über das Lehren gesprochen und zu wenig über das Lernen“ in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung fordert der australische Bildungsforscher John Hattie eine stärkere Fokussierung auf die Lernprozesse der Schüler. Hattie, bekannt durch seine Metastudie „Visible Learning“, hebt hervor, dass ein Perspektivwechsel nötig ist, um die Freude am Lernen zurückzubringen.
Im Interview erläutert Florian Fock, Schulleiter der Hermann-Lietz-Schule Spiekeroog, wie die Schule Hatties Ansätze in der Praxis umsetzt – von Lerncamps über praktische Mitarbeit in der Internatslandwirtschaft, Bootsbau und Segeln bis hin zu einem stärkeren Fokus auf das Schulklima.
Herr Fock, wie setzen Sie und Ihre Schule die Forderungen John Hatties konkret um?
Florian Fock: Diese Forderungen treffen tatsächlich den Kern moderner Schulentwicklung, und wir setzen an unserer Schule bereits viele dieser Prinzipien um. Besonders wichtig ist uns, dass Schüler Verantwortung für ihr eigenes Lernen übernehmen. Das passiert beispielsweise in unseren Lerncamps, bei denen die Schüler individuell gefördert werden und lernen, selbständig Lernstrategien anzuwenden. Darüber hinaus legen wir großen Wert auf die Verknüpfung von theoretischem und praktischem Lernen – sei es durch die Mitarbeit in der Internatslandwirtschaft, beim Bootsbau oder durch das Segeln. Diese Aktivitäten ermöglichen es den Schülern, handlungsorientiertes Lernen zu erleben und Selbstverantwortung zu übernehmen. Das entspricht genau dem, was Hattie mit „Lernen sichtbar machen“ beschreibt. Sei deutscher Koautor, Prof. Dr. Klaus Zierer, berät uns seit vielen Jahren in diesem Sinne bei unserer Schulentwicklung.
Können Sie genauer auf diese praktischen Projekte eingehen?
Florian Fock: Unsere Schüler sind aktiv in verschiedene Projekte eingebunden, die sie nicht nur fachlich, sondern auch persönlich weiterbringen. In der Internatslandwirtschaft übernehmen sie Verantwortung für Tiere und den Gartenbau. Beim Bootsbau lernen sie nicht nur handwerkliche Fähigkeiten, sondern auch die Bedeutung von Teamarbeit und Präzision. Und durch das Segeln erwerben sie Kompetenzen wie Entscheidungsfreude, vorausschauendes Handeln und Naturverbundenheit. Diese Erfahrungen sind eine perfekte Ergänzung zum theoretischen Unterricht und verankern das Lernen in der Realität. Hattie betont, wie wichtig es ist, dass Schüler den Sinn hinter dem Lernen erkennen – und genau das schaffen wir mit diesen Projekten.
Hattie kritisiert, dass Schüler im Unterricht oft unaufmerksam sind. Wie gehen Sie damit um?
Florian Fock: Das stimmt. Laut Hattie sind Schüler ein Drittel der Unterrichtszeit unaufmerksam, weil sie sich entweder überfordert oder unterfordert fühlen. Wir begegnen dem mit einem stark personalisierten Ansatz und klaren Zielsetzungen. Die Lehrkräfte an unserer Schule achten darauf, Aufgaben so zu gestalten, dass sie alle Schüler ansprechen, und dabei gleichzeitig genug Herausforderungen bieten. Projektorientiertes Arbeiten im Unterrichtsalltag bietet die Möglichkeit, Verantwortung für das Lernen an die Schüler zu übertragen, und über die Reflexion der selbst gesteckten Ziele Veränderungsprozesse zu ermöglichen. Das motiviert, und die Phasen der Unaufmerksamkeit werden weniger.
Hattie betont die Rolle der Schulleitung und des Schulklimas. Wie wird das an Ihrer Schule berücksichtigt?
Florian Fock: Hattie hat absolut recht, dass das Handeln der Schulleitung das Schulklima stark gestaltet. Als Schulleiter ist es meine Aufgabe, eine klare Vision vorzugeben, die den Schüler in den Mittelpunkt stellt, und gleichzeitig eine Kultur der Offenheit und Zusammenarbeit zu fördern. Wir setzen auf eine offene Feedback-Kultur, kollegiale Hospitationen und regelmäßigen Austausch über die pädagogische Arbeit. Auch interne Fortbildungen spielen eine wichtige Rolle, um uns kontinuierlich weiterzuentwickeln. Gleichzeitig sorge ich dafür, dass praktische und kreative Projekte aus Kunst, Musik, Sport, Naturwissenschaften oder Gesellschaftswissenschaften fest im Schulalltag verankert sind. Sie tragen erheblich zu einem positiven Schulklima bei.
Gibt es noch weitere Projekte, die Sie in diesem Zusammenhang hervorheben möchten?
Florian Fock: Neben den genannten Projekten arbeiten wir auch aktiv an unseren Klimaschutzmaßnahmen. Dabei werden die Schüler in die Planung und Umsetzung von Projekten, die die Gestaltung des Zusammenlebens und des Ressourcenverbrauchs gemäß dem Prinzip der Nachhaltigkeit fördern, einbezogen. Solche praktischen Projekte fördern nicht nur das Lernen, sondern stärken auch die Eigenverantwortung und das Bewusstsein, aktiv etwas bewirken zu können, Stichwort "Selbstwirksamkeit".
Was ist für Sie die wichtigste Botschaft aus Hatties Ansatz?
Florian Fock: Hattie erinnert uns daran, dass wir den Fokus auf das legen müssen, was wirklich zählt: die Lernprozesse der Schüler. Alle Entscheidungen – von der Schulleitung über das Kollegium bis hin zur Bildungspolitik – sollten sich daran messen lassen, wie sie das Lernen der Schüler verbessern, sowohl mit fachlicher Zielsetzung als auch im Sinne der Persönlichkeitsentwicklung. An unserer Schule sehen wir diese Herausforderung als Chance und nutzen sie, um Innovationen umzusetzen und die Freude am Lernen zurückzubringen.